
Arbeiten im Bereich Gastronomie in der WfbM, was sind die Herausforderungen, was die Möglichkeiten?
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Gracia Schade
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06.02.23
Noch vor etwa 20 Jahren war das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) lediglich als Diagnose des Kindes- und Jugendalters anerkannt. Der allgemeine fachliche Konsens bestand darin, dass sich die Symptome weitgehend „auswachsen“ und mit dem Übergang ins Erwachsenenalter eine Behandlung meist nicht mehr nötig sei. Erst mit Forschungsanstrengungen rund um neue Diagnosekriterien erfolgte auch eine Anerkennung des ADHS im Erwachsenenalter. Seither haben sich die Erkenntnisse in diesem Bereich deutlich ausgeweitet. Auch in der beruflichen Rehabilitation ist die Diagnose ADHS zum relevanten Thema geworden, mögliche berufliche und wirtschaftliche Auswirkungen für betroffene Personen besser erforscht. Mit einigen Herausforderungen des Arbeitsmarktes für Menschen mit einer ADHS-Diagnose soll sich dieser Artikel beschäftigen.
ADHS ist gekennzeichnet durch neurobiologische Veränderungen. Es existieren wissenschaftliche Erkenntnisse, die beispielsweise strukturelle Veränderungen im Gehirn der betroffenen Personen beschreiben, sowie auch eine veränderte Kommunikation zwischen Gehirnregionen und Veränderungen auf Ebene der biochemischen Botenstoffe (Neurotransmitter). Neben genetischen Faktoren, spielen in der Entwicklung von ADHS auch viele andere Bedingungen, nach gegenwärtigem Forschungsstand, eine Rolle. Das können soziale Faktoren sein oder auch bestimmte Ereignisse während der Schwangerschaft. Die konkreten Symptome und Auswirkungen können sehr unterschiedlich sein. Nicht jede betroffene Person empfindet ADHS als „Krankheit“ oder fühlt sich dadurch beeinträchtigt. Dennoch gibt es bestimmte Symptomgruppen, die häufiger auftreten und für die Diagnose herangezogen werden: Bei erwachsenen Personen spielen hier Störungen der Aufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität, sowie Schwierigkeiten mit der Planungs- und Organisationsfähigkeit eine übergeordnete Rolle.
Als Folge der individuellen Symptomatik, aus einzelnen oder mehreren der genannten Symptomkomplexe, kann es zu Problemen und Einschränkungen im persönlichen, sozialen und beruflichem Bereich der betroffenen Personen kommen. In der beruflichen Rehabilitation trifft man auf sehr unterschiedliche Personen mit verschiedenen Ausprägungen des ADHS und individuellen Diagnosebiografien und verschiedenen Vorerfahrungen, auch in Bezug auf Therapie und Medikation. Nicht selten ist ADHS auch nicht die primäre Diagnose und es bestehen weitere psychische Erkrankungen, die ebenfalls oder sogar vorrangig berücksichtigt werden müssen.
Alle Faktoren gemeinsam können zu von Misserfolgen und Abbrüchen gekennzeichneten beruflichen Biografien führen oder auch zu Biografien unterschiedlichster Berufserfahrungen und vielseitiger Interessen. Bei der Planung der beruflichen Rehabilitation ist einer der Hauptfaktoren das Bewusstsein der betroffenen Person selbst über die Problembereiche. Der Einbezug möglicherweise bereits vorhandener persönlicher Strategien und Vorerfahrungen ist wesentlich.
Unter Berücksichtigung aller Individualität zeigen sich häufiger bestimmte Gemeinsamkeiten, die als besondere Herausforderungen im Bereich Arbeit von Relevanz sind. Folgend werden die möglichen Problembereiche Aufmerksamkeit und Hyperaktivität thematisiert. Aufmerksamkeit am Arbeitsplatz- Ablenkungen vorbeugen Die längerfristige Fokussierung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Tätigkeiten stellt Menschen mit ADHS häufig vor eine besondere Herausforderung. Laute Arbeitsumgebungen, Kolleg*innen, technische Störfaktoren im direkten Umfeld, können zu Arbeitsabbrüchen, Verlangsamung und „Verzetteln“ führen. Lösungsmöglichkeiten ergeben sich hier einerseits aus der Gestaltung des Arbeitsplatzes. Arbeiten in Räumen mit Abgrenzungsmöglichkeiten, bei Bedarf schließbaren Türen, können hier Entlastung bieten. In offenen Arbeitsbereichen empfiehlt es sich eine weniger frequentierte Platzierung des Arbeitsplatzes zu wählen (beispielsweise nicht direkt an vielbegangenen Durchgangswegen oder neben der Tür zum Lager). Am Arbeitsplatz selbst empfiehlt es sich diesen frei von unnötigen Gegenständen zu halten. Arbeitet eine Person im Bürobereich, kann die Verwendung von Kopfhörern beim Telefonieren oder das Abschalten von Push-Nachrichten und Desktop-Benachrichtigungen bei E-Mail- Eingang in Betracht gezogen werden. Bei einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne können Aufgaben in „machbare“ Zwischenschritte unterteilt werden, durch die betroffene Person selbst oder auch mit Unterstützung eines/r Vorgesetzten. Der Fortschritt kann bei Bedarf mittels einer Checkliste erfasst werden. Persönliche Interessen und Aufmerksamkeit Im Zusammenhang mit ADHS spielen andererseits auch persönliche Interessen eine besondere Rolle. Betroffene Personen beschreiben im beruflichen Kontext teilweise gravierende Aufmerksamkeitsstörungen einerseits, sowie eine Hyperfokussierung bei bestimmten Tätigkeiten andererseits. Hier kann teilweise über sehr lange Zeiträume (über-)konzentriert und teilweise unter Ausblendung anderer Pflichten, Bedürfnisse etc. eine bestimmte Tätigkeit nachverfolgt werden. Diese Eigenschaft kann im beruflichen Bereich eine Stärke darstellen, aber auch zu Handlungsbedarfen führen. Hier empfiehlt es sich sehr individuell nach Lösungen zu suchen. Beispielsweise kann ein Wecker an Pausen erinnern oder die Möglichkeit Pausen flexibel und nicht zu festgelegten Zeiten einplanen zu können (nach einer intensiven Arbeitsphase). Auch ohne die beschriebene Hyperfokussierung ist zu berücksichtigen, dass es Personen mit ADHS ungleich schwerer fallen kann (nach persönlicher Wahrnehmung) „uninteressante“ Routineaufgaben zu erledigen, als dies bei Personen ohne ADHS der Fall ist. Geplante Unterbrechungen oder Abwechslungen können hier hilfreich sein.
Bei erwachsenen Personen äußert sich eine Hyperaktivität im Querschnitt deutlich unauffälliger als bei Kindern. So wird eher eine motorische Unruhe wahrgenommen, die sich beispielsweise in Umherlaufen oder dem Drang danach, der Hantierung mit bestimmten Gegenständen (zum Beispiel „Kugelschreiber klicken“) äußern kann. Einer erwachsenen Person eröffnen sich oft gute Kompensationsmöglichkeiten am Arbeitsplatz. Beispielsweise kann Bewegung konsequent in den Pausen eingeplant werden. Eingeschobene Gänge zum Kopierer, Telefonate im Umherlaufen etc. sind weitere Möglichkeiten.
Sehr häufig berichten erwachsene Personen mit ADHS über Probleme in den Bereichen Zeitmanagement und Organisation. Dies kann nur einzelne, oder mehrere Lebensbereiche betreffen. Am Arbeitsplatz können beispielsweise Probleme mit Pünktlichkeit oder der rechtzeitigen Erledigung von Aufgaben auftreten. Auch hier können die genannten Schwierigkeiten nur bei bestimmten Aufgaben auftreten und im Zusammenhang mit persönlichem Interesse stehen. Neben bekannten Hilfsmitteln zu Zeit- und Arbeitsorganisation (Kalender, Apps, Elektronische Erinnerungshilfen) ist für betroffene Personen eine gründliche Zeit- und Aufgabenplanung hilfreich. Dabei kann wiederum nur betont werden, dass die individuelle Situation der Person und die Anpassung der Planung maßgeblich für den Erfolg sind. Ausgehend davon, sollte die Person beispielsweise den Wunsch nach Abwechslung, kurze/lange Aufmerksamkeitsspannen, die persönliche Bewertung der anstehenden Aufgaben in die Planung einfließen lassen. So können diese Pläne in der Praxis sehr unterschiedlich aussehen: Von gleichmäßiger Zeitverteilung, bis hin zu (für Außenstehende) sehr „sprunghaft“ wirkende Aufgabenplanung.
Es gibt keine Einschränkungen für Personen mit ADHS und jene sind in allen denkbaren Berufsbereichen vertreten. Statistisch betrachtet werden jedoch besonders häufig Berufsbereiche mit kreativen Anteilen gewählt, sowie im Sozial- oder Gesundheitsbereich. Zusammenfassend gibt es zahlreiche Möglichkeiten den Herausforderungen des Arbeitsmarktes zu begegnen und individuelle Lösungen zu finden. In der beruflichen Rehabilitation gibt es zahlreiche Möglichkeiten Klient*innen mit ADHS beim Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Dieser Artikel konnte lediglich einige Punkte anreißen, die von Belang sein können.